Jazzthetik 12 2001Eva Maria Kaes

Ein Traum aus Curaçao
Und: der Traum einer jungen Frau, die weiß, was sie will – auf ihrer ersten eigenen CD ihren persönlichen musikalischen Ausdruck finden. Die Quellen, aus denen sie sich speist: die Musik ihrer Heimat Curaçao und Jazz.

Was haben eine Karriere als Sangerin und ein Wirtschaftsstudium gemeinsam?

‘Eine ganze Menge – leider’, sagt Izaline Calister. Sie muss es wissen, denn schließlich kennt sie beides. Als sie vor gut funf Jahren ihre Heimatinsel Curaçao verließ, um in den Niederlanden Wirtschaft zu studieren, da tat sie das hauptsächlich, um Papa Calister einen Gefallen zu tun. Der fand nämlich, dass seine Tochter sich nicht nur mit – möglicherweise – brotloser Kunst beschäftigen, sondern auch einen anständigen Beruf erlernen sollte. Das tat die gehorsame Tochter auch – aber nebenbei besuchte sie Gesangsklassen im Konservatorium von Groningen.

Dort wurde ziemlich rasch Jasper van’t Hoff auf Izaline Calister und ihre Stimme aufmerksam – eine Stimme, die spielend die Bandbreite von weich bis Cool abdeckt – und dabei doch nie ihre Wärme verliert. Der Keyboarder und Pianist bot ihr an, bei seiner Band Pili Pili mitzumachen – für Izaline ein hoffnungsvolles Angeßot, denn in dem Jazz/Worldmusic–Projekt war die Stelle der Sangerin vakant, seit Angelique Kidjo die Truppe verlassen hatte, um sich ihrer Solokarriere zu widmen. Außerdem arbeitete sie bei Pili Pili mit vielen ausgezeichneten Musiker Innen zusammen, u. a. Saxophonist Tony Lakatos, Bassist und Gitarrist Nicolas Fizsman oder Posaunistin Annie Whitehead. Eine unglaubliche Chance für die junge Sängerin. Mit Pili Pili tourte Izaline durch ganz Europa und nahm bisher zwei CDs auf. Seit drei Jahren arbeitet sie außerdem mit den Dissidenten zusammen, dem deutschen Trio, das, eßenfalls häufig im Zusammenspiel mit anderen Musikern, zwischen Jazz, Weltmusik und Avantgarde oszilliert.

Aus der Vielfalt der künstlerischen Arbeit wuchs in Izaline die Vorstellung von dem, was sie wollte: die Musik von Curaçao weiterentwickeln in der Fusion mit Jazz. Nun ist die traditionelle Musik der kleinen Insel vor der venezolanischen Küste schon für sich alleine genommen ein wahrer Flickenteppich, in dem sich Elemente aus vielen Musikstilen und Kulturen finden. Nachdem die Spanier und Portugiesen im Zuge der Konquista auch über Curaçao gekommen waren und natürlich auch auf den 440 Quadratkilometern der Insel ihre Spuren und viele schwarze Sklaven hinterlassen hatten, kamen im 17. Jahrhundert die Holländer. Und auch diese Kolonialherren brachten ihre Musik mit. So kamen Polka, Walzer und Mazurka in die Karibik.

Das ist kein Brazil–Jazz!

Mit der europäischen Musik auf Curaçao geschah dann das, was überall dort passierte, wo Afrikaner hin verschleppt worden waren: Die Sklaven griffen die Rhythmen auf, die sie von den Europäern hörten, und spiegelten sie in ihrer eigenen Musik zurück. Natürlich hatten die Melodien dann einen ‘african flavour’. So entstand diese merkwürdige, aber klangvolle Fusion zwischen europäischer und afrikanischer Musik, die bis heute die Grundlage der Musik von Curaçao ist.

Von dieser musikalischen Quelle ausgehend, komponierte Izaline eigene Songs, jazzige Rhythmen, die ihre UrsprOnge nicht verleugnen, zusammengehalten von den Musikern ihrer Band und Izalines wundervoller Stimme. Es flüstert, swingt und klingt so sehr nach was Neuem, dass Izaline überhaupt nicht nachvollziehen kann, warum manche Leute ihre Songs in die Schublade ‘Brazil–Jazz’ stecken. Vier der elf Songs auf ihre Debüt-CD hat Izaline selbst geschrieben, fünf andere sind hörbar traditionellen Ursprungs.

Die Texte der Songs stammen fast alle aus Izalines Feder. Sie hat eine Botschaft: ‘Meine Texte geben die Sicht einer jungen Frau wieder. Ich bin mir der Wurzeln und der Geschichte meiner Heimat bewusst. Ich kenne aber auch die Themen und Probleme der Gegenwart. Ich finde es wichtig, dass wir uns bewusst werden, dass wir im Jahre 2000 leben’, sagt sie und wirbelt mit ihren Texten ganz schön Staub auf in der konservativ orientierten Gesellschaft von Curaçao. Sie schreibt über eine junge Frau, die einen Mann anspricht, der ihr gefällt; sie schreibt über ein Paar, das liebe macht. Das sind alles Themen, über die bisher nicht laut geredet werden dürfte. ‘Es geht mir nicht darum, zu provozieren oder zu beleidigen’, stellt Izaline klar. ‘Ich möchte den jungen Leuten Mut machen, ihren Weg zu gehen, aber das tue ich mit freundlichen Worten’.

Papamiento!

Izaline singt in Papamiento, der Umgangssprache auf Curaçao und ein ebensolcher Mischling wie die Musik: Portugiesisch, Spanisch, Afrikanisch, Kreolisch und natürlich Hollandisch haben sich vereinigt zu einer klangvollen, weichfließenden Sprache, in die sich Izalines Stimme seidig einschmiegt. Die Sprache, die nur von etwa 300.000 Menschen auf der Welt gesprochen wird, ist für Izaline das naheliegendste Ausdrucksmittel. ‘Mit Papamiento kann ich alles das ausdrücken, was ich sagen möchte. Ich finde immer die richtigen Worte. In Englisch könnte ich mich nicht so sicher und so differenziert ausdrücken, wie ich es möchte. Die Reaktion des Publikum gibt ihr Recht: Bei Auftritten in Jazz–Clubs macht Izaline die Beobachtung, dass die leute immer dann das Geplauder einstellen und wirklich zuhören, wenn sie in Papamiento singt. ‘Ich mache das nicht mit Absicht’, macht sie den Versuch einer Erklärung, ‘aber offenbar ist meine Stimme gefühlvoller oder ausdrücksvoller, wenn ich in Papamiento singe. Also bleibe ich dabei. Vielleicht gibt es ja nach dem Erscheinen der CD ein paar mehr Leute auf der Welt, die Papamiento – singen!’

Im Wort hat Izaline Calister also ihren authentischen Stil gefunden, in dem sie auch glaubwürdig ist. In der Musik ist es der Jazz: ‘Jazz ist für mich eine Stimmung, ein Zustand, in dem ich mich frei fühle, Neues auszuprobieren und Dinge zu verändern. Ich möchte soviel Freiheit wie möglich. Ich suche nach einem neuen Gleichgewicht zwischen Alt und Neu, Tradition und Gegenwart, zwischen akustischer Musik und verstarkten Sounds. Das sind die Chancen, die für mich im Jazz stecken.’